Die Geschichte der Michaeliskirche

Die Michaeliskirche in Rohr bei Meiningen ist eine der interessantesten Dorfkirchen in Thüringen. Sie wurde als Kirche eines Benediktinerklosters in den Jahren zwischen 815 und 824 erbaut. Nach Auflösung des Klosters im Anfang des 10. Jahrhunderts diente sie als Pfalzkapelle der deutschen Könige und Kaiser. Zum Höhepunkt der Pfalzgeschichte kam es am 29. Juni 984: Auf dem Reichstag in Rohr wurde das geraubte Kind Otto III. seiner Mutter Theophanu und seiner Großmutter Adelheid zurückgegeben. (Die byzantinische Kaisertochter Theophanu war Frau von Kaiser Otto II., der am 7. Dezember 983 in Rom den Tod fand und dort in der Peterskirche beigesetzt wurde. Adelheid war Theophanus Schwiegermutter.)

Zwischen 1569 und 1618 erfuhr die ehemalige Klosterkirche und Pfalzkapelle die baulichen Veränderungen zur Dorfkirche, wie sie sich noch heute dem Besucher darstellt. Die Querhausarme wurden abgebrochen, im Langhaus die romanischen Obergadenfenster vermauert und dafür in der Süd- und Ostwand fünf gotische Fenster mit schönem Maßwerk und Mittelrippe eingezogen.

Aus der Zeit des beginnenden 17. Jahrhunderts stammen die hölzerne Kassettendecke, die Doppelemporen an der Nord- und Westwand, sowie der mit Glockenstube erhöhte Turm. Aus den Kapitellen der zwölf Emporensäulen ragen Köpfe mit Zwickelbärten und breiten Halskrausen heraus, die als „Schwedenköpfe“ bezeichnet werden und König Gustav II. Adolf von Schweden darstellen, den Retter der Reformation in Deutschland im Dreißigjährigen Krieg. An der unteren Emporenbrüstung sind Reliefbilder aus Holz geschnitzt, die Christus und die zwölf Apostel mit ihren zugehörigen Symbolen zeigen. Zwischen diesen geschnitzten Figuren sind in dreizehn Feldern 26 Bilder mit Szenen aus dem Leben Jesu von der Geburt bis zur Himmelfahrt auf Holz gemalt. In den romanischen Triumphbogen ist 1667 die barocke Orgel eingebaut worden, die Fensterempore auf der Südseite stammt aus dem 18. Jahrhundert.

Der hölzerne Flügelaltar an der Südwand ist 1620 entstanden. Doppelseitig bemalt zeigt er Szenen aus dem Alten und Neuen Testament. Dieser hölzerne Altarschrein stand ursprünglich auf dem steinernen Altar, als die Kanzel noch an der Südseite des Kirchenschiffes hing. Im Altarraum steht der Renaissance-Taufstein aus dem Jahr 1586, dessen lateinische Umschrift besagt: „Diesen Taufstein stiftete Johannes Lindt, Amtsvogt (zu Kühndorf) und Mitglied des Siebenmännerrates im Sächsischen Haus.“ In zwei Feldern des Achteckes sind die Zeichen der Suhler Steinmetzen zu erkennen.

Der baulich unveränderte Teil der ehemaligen karolingischen Klosterkirche ist die Krypta, die einen Mischtypus von Ring- und Hallenkrypta darstellt. Ursprünglich war dieser Raum über zwei Treppen aus den Querhäusern zugängig. Mit Abriss der Querhäuser wurden diese Eingänge verschüttet. Erst 1962 wurde die Behelfstreppe an der Nordseite eingezogen. Die Rohrer Hallenkrypta hat nach Osten drei Nischen. In den beiden Seitennischen standen die Nebenaltäre des Klosters. Die später vermauerte Mittelnische mit dem rekonstruierten Hauptaltar besaß ursprünglich eine östliche Verlängerung in der Grabkammer für die beiden Sarkophage der Stifter: Graf Christian und Frau Heilwich. Zwischen den vier Pfeilern der Krypta stand einst der Reliquienschrein des Klosters. Ein Beispiel für eine Kirche aus späterer Zeit mit ganz ähnlicher Krypta und noch erhaltenen Querhäusern ist die St.-Andreas-Kirche in Fulda-Neuenberg.

Im ersten Weltkrieg wurde die große Bronzeglocke für militärische Zwecke beschlagnahmt und zerstört. 1922 konnte nur eine Eisengussglocke als Ersatz beschafft werden. Im Jahr 2007 begann eine Spendenaktion für eine neue Bronzeglocke als Ersatz für den kurzlebigen Eisenguss. Die alte wie die neue Glocke tragen die Aufschrift: „Gott segne Rohr.“

Die heutige Dorfkirche in Rohr ist von einer sechs Meter hohen Mauer umgeben, deren Bauzeit ins 13. Jahrhundert fällt und zur mittelalterlichen Kirchenburg gehörte, in die sich die Bevölkerung bei Gefahr flüchtete. Der Zugang zu dieser umwehrten Anlage führt durch das Torhaus, auf das 1629 ein achteckiger Turm mit Zwiebelhaube und offener Laterne gesetzt wurde. Das Innere der Kirchburg ist heute das Gelände des kirchlichen Friedhofs in Rohr.

Trotz der baulichen Veränderungen ist die Michaeliskirche von Rohr mit der Krypta der einzige Monumentalbau im östlichen Deutschland, der weitgehend aus karolingischer Zeit stammt. Damit besitzt der kleine Ort eine architekturgeschichtliche Kostbarkeit von nationaler und internationaler Geltung.